Das nackte & das symbolische Brot
Datum: 15.01.2011 | Autor: Elke | Kategorien: Texte | 7 Kommentare »In Tunesien herrscht der Ausnahmezustand, es hat bereits Tote gegeben. Die Gründe für die Aufstände liegen Presseberichten zufolge in den erhöhten Lebensmittelpreisen, der hohen Arbeitslosigkeit und dem diktatorischen Regime des (nun mehr unauffindbaren) Präsidenten Ben Ali. Mit diesem Aufstand fällt nicht nur das bequeme Bild des sonnigen Tunesien zusammen, der Aufstand selbst hat einen neuen symbolischen Rahmen: Statt mit Steinen wird mit Brot geworfen (>> Süddeutsche Zeitung & >> Bildstrecke). Dies verweist zum einen ganz real auf die gestiegenen Lebensmittelpreise, deren Gründe nicht zuletzt in den Spekulationen mit Agrarrohstoffen zu suchen sind, vor deren Folgen -- nämlich Hungerkrisen wie 2008 - erst jüngst der Agrarökonom >> Joachim von Braun (vergeblich) warnte.
Brot hat aber auch eine quasi universelle Bedeutung. Es steht symbolisch für Lebensmittel überhaupt, es bezeichnet das soziale Gefüge, es hat religiöse Bedeutung (hier geht’s zum schöne Beitrag von >> Evelyne Polt-Heinzl über Brot als symbolisches Grundnahrungsmittel) . Vom “täglich Brot”, um das gebeten wird über das Brot und Salz, das beim Einzug in ein neues Heim als Glücksbringer geschenkt wird bis zum “Brot und Wein” der Eucharistie reichen die kulturellen Bedeutungen im christlichen Kontext.
Um nun nicht mangels genauerer Kenntnisse über die kulturellen Konnationen des Brotes im arabischen Kontext im hierzulande bekannten Bildfeld “Brot” zu verbleiben, sei hier an den autobiograpischen Roman Das nackte Brot des großartigen marokkanischen Schrifstellers >> Mohamed Choukri erinnert (>>Video unten). Choukri, Bettler, Dieb, Schmuggler und homosexueller Stricher, lernte erst mit 21 Jahren im Gefängnis schreiben. Er zählt heute zu den bedeutensten Autoren der arabischen Welt. Ein Buch über die Armut und Härte des Lebens im Maghreb, über das nackte Überleben.
Photo: Depression “bread wars”, corner store on Bourke & Fitzroy Streets, Surry Hills, Sydney, 21 August 1934 / Sam Hood
Ich hoffe sehr, dass die Menschen diese gefährliche Phase zu ihren Gunsten nutzen können. Ein geflohener Diktator bedeutet heutzutage nicht das Ende der Diktatur und nicht automatisch soziale Gerechtigkeit.
lieber julian,
das sehe ich auch so! und ich hoffe es auch sehr, dass die historische stunde eine gute wird. die geschichte verlä#uft ja wohl leider nie gradlinig, aber es gibt doch gelegentlich hoffnungszeichen!
in diesem sinne herzliche grüße: elke
Liebe Elke, ich musste gerade an dich denken, also ich diese Bildstrecke zu den Aufständen in Tunesien sah >> Bild Nr. 30 – ein Mann verteidigt sich mit einem Brot!
Liebe Magda,
danke sehr, wirklich beeindruckende Photos! Ich habe die Bildstrecke gerade verlinkt!
Finde die Bildstrecke faszinierend. Auch die Links zum Text sind sehr aufschlussreich. Finde toll, dass der “Background” vom Brot im Text beleuchtet wird.
Leider ist die Verzweiflung so groß, dass sogar mit Lebensmittel geworfen wird. Soziale Gerechtigkeit, eine Demokratie und andere Lebensmittelpreise sehe ich als logische Konsequenz dieses Aufstandes – jedoch wahrscheinlich eine Wunschvorstellung, die ausbleiben wird.
liebe liv,
ja, ich hoffe auch, dass es eine andere realität geben wird – aber das moment einer revolution lässt sich nie wieder aus dem kollektiven gedächtnis verbannen. das ist einsso straker moment von selbstbehauptung, das muss sich einfach umsetzen!
herzlich elke
Wie wär´s mit obiger VideoErgänzung?
Vielleicht ist auch ein -ähnlich ausführliches- deutschsprachiges Video aufzutreiben.