Falscher Titel! Bücher zur Obdachlosigkeit

Datum: 24.04.2011 | Autor: Elke | Kategorien: Rezensionen | Tags: Florian Oberhuber, Jürgen Malyssek, Klaus Störch, Wohnungslose Menschen | 2 Kommentare »
Obdachlose machen nur einen Teil der amtssprachlich korrekt “wohnungslos” Genannten aus – dies ist die erste Erkenntnis nach Lektüre einiger Bücher, die ich empfehlen möchte.

Zunächst Statistisches, Fakten und Zahlen: Diese liefert kurz und gut im Überblick Claus Paegelows Handbuch Wohnungsnot und Obdachlosigkeit (Bremen 2006). Die subjektive Seite findet man anschaulich in Katrin Paniers: Die dritte Haut. Geschichten von Wohnungslosigkeit in Deutschland (Berlin 2006) beschrieben; der Band versammelt Geschichten von Menschen, die auf der Straße leben.
Unbedingt empfehlenswert ist das von Jürgen Malyssek und Klaus Störch verfasste Buch Wohnungslose Menschen: Ausgrenzung und Stigmatisierung (Freiburg im Breisgau  2009). Die Autoren wenden sich dagegen, vom dem Obdach- bzw. Wohnungslosen zu sprechen, denn jede(r), der oder die auf der Straße landet, ist ein Individuum, die Menschen sind auch auf der Straße verschieden. Das gut lesbare – und ja: unterhaltsame – Buch spricht alle Facetten des Themas an, Zahlen und Fakten mischen sich mit Einzelporträts und Interviews von Expert_innen. Sehr schön ist auch der Blick auf die künstlerischen Verarbeitungen des Themas, die von Georg Orwell bis Tom Waits reichen.
Einen anderen Ansatz wählt Florian Oberhuber. In seiner Studie Die Erfindung des Obdachlosen. Eine Geschichte der Macht zwischen Fürsorge und Verführung (Wien 1999) rekonstruiert der Autor die Erfindung des Obdachlosen aus machtheoretischer Perspektive (heißt: Foucault-Kenntnisse schaden hier nicht). Das jemand als Wohnungs- oder Obdachloser bezeichnet wird, setzt ein Verhältnis zum Wohnen voraus: die Vorstellung, das und wie der Mensch angemessen wohnen müsse. Im Laufe der Jahrhunderte wird so aus den wandernden Armen und den Vagabunden schließlich der Obdachlose, er wird als Abweichung von den als normal gesetzten Verhältnissen konstruiert und muss entsprechend fürsorglich behandelt werden. Oberhuber weist auch auf die bereits um 1900 vorfindliche Idee hin, der Obdachlose sei dem Bohemien verwandt.

Bleibt noch die Frage: Wird sich der Begriff Wohnungslose durchsetzen? Ich vermute: nein. Denn anders als die korrekte Bezeichnung hat das Wort Obdachlosigkeit einen fast schon transzendentalen Überbau, es ist ein affektives Wort, das die Vorstellung von Schutz-, Behütetet und Beheimatsein transportiert. Oder genauer: den Verlust davon.

Photo: Krzysztof Wodiczko, Homeless Vehicle Project, 1988.

2 Comments on “Falscher Titel! Bücher zur Obdachlosigkeit”

  1. 1 doc_schneider kommentierte 01:02 on May 9th, 2011:

    Hi,

    ich empfehle Norbert Preusser: ObDach und vor allem :Not macht erfinderisch.

    Und das Anliegen von Wodicko hat aufgegriffen in Deutschland Winfried Baumann mit seinem Projekt instant housing

    Ist sehr anregend, habe ihn gerade vor einiger Zeit in Nürnberg besucht.

    http://www.instant-housing.de/?ID_CAT=1

    Bye,
    stefan

  2. 2 Elke kommentierte 08:49 on May 9th, 2011:

    Hallo Stefan,

    danke für die tollen Hinweise! Herzlich: Elke


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