Gelesen: Wie müssen leider draußen bleiben

Datum: 08.04.2012 | Autor: Elke | Kategorien: Rezensionen | 1 Kommentar »

„Wie müssen leider draußen bleiben“ – mit diesem Satz wurde ursprünglich Hundebesitzern per Plakat bedeutet, dass ihre Lieblinge besser vor der Tür aufgehoben seien. Heute gilt diese Platzanweisung zunehmend für die sozial Schwachen – passenderweise hat die Journalistin Kathrin Hartmann sie als Titel ihres Buch über die neue Armut in der Konsumgesellschaft gewählt. Dabei analysiert sie nicht nur die bundesdeutsche Wirklichkeit im Zeichen von Hartz IV, sondern ist auch nach Bangladesch gereist, um die dortige Armutsbekämpfung mittels Mikrokrediten und Social Business unter die Lupe zu nehmen.

Absolute versus relative Armut?

Auf den ersten Blick haben diese beiden Lebensrealitäten wenig oder gar nichts miteinander zu tun, handelt es sich doch zwei Formen von Armut, die gemeinhin getrennt und eher gegeneinander ausgespielt werden: Der absoluten Armut des Hungers und Gerade-noch-Überlebens in der sogenannten Dritten Welt steht die relative Armut in reichen Konsumgesellschaften wie der BRD gegenüber. Hartmann sieht beide aber über eine Armutsbekämpfung verbunden, die ganz auf ökonomisches Denken und unternehmerische Logiken setzt.

Mit Furor und Witz, gestützt auf empirische Daten und wissenschaftliche Befunde, setzt sich Hartmann mit den grassierenden Voruteilen gegenüber den Armen und liebgewordenen Vorstellungen über deren Rettung auseinander. So bildet der deutschlandbezogene Teil eine Bestandsaufnahme der Schieflagen, deren Puzzlestücke sich zum Bild einer zunehmenden Erosion des Sozialen fügen. Dazu zählen die symbolischen Abwehrkämpfe einer verunsicherten Mittelschicht gegenüber einer vermeintlich faulen und unfähigen Unterschicht, die staatlich begünstige Umverteilung von unten nach oben, eine Elitenbildung, die nicht auf Leistung, sondern Herkunft basiert, die wachsende Segregation der Städte in Problemviertel und Gated Communities, die unter Rot-Grün eingeführte Deregulierung der Finanzmärkte, deren Folgen heute von den damaligen Protagonisten angeklagt wird.

Demgegenüber stehen Formen ehrenamtlicher und staatlicher Armutsbekämpfung, die aus Hartmanns Sicht bestenfalls zweifelhaft sind: So kritisiert sie die fehlende politische Positionierung der die Armen mit überschüssigen Nahrungsmitteln versorgenden „Tafeln“; die Spenden dienten so nur der Imagepflege der Discounter, die zudem die Kosten der Abfallbeseitigung sparen. Lidl bezeichne die Tafeln denn auch als „Entsorger“. Nicht besser steht es um die staatlich geförderte Umwandlung des Arbeitslosen zum Kleinunternehmer. Dieser erblickte 2006 als „Ich-AG“ das Licht der Welt; heute gibt es 2,1 Millionen dieser Ein-Personen-Unternehmen. Bei den meisten handele es um Zwangsgründungen, die weniger aus Unternehmergeist, denn aus der Not geboren wurden. Der Schritt aus der Armut gelänge mitnichten, denn ein Fünftel ist armutsgefährdet, 8,7 % gelten als arm.

Mikrokredite und Social Business

Von hier aus ist es kein so weiter Schritt in die sogenannte Dritte Welt, denn auch hier sollen sich die Armen mithilfe von Mikrokrediten in Unternehmer transformieren. Die Idee stammt vom bangladeschischen Ökonomen und Banker Muhammad Yunus, der dafür 2006 den Nobelpreis erhielt. Mittlerweile hat sich Bangladesch als Experimentierfeld für Kleinstkredite etabliert: 30 Millionen – ein Fünftel der Bevölkerung – sind verschuldet. Zinshöhe je nach Institut: zwischen 20 und 40 %. Begründet wird dies mit hohem Verwaltungsaufwand. Dazu gehören offenbar auch die Geldeintreiber, die mit Druck, öffentlichen Beschimpfungen und gelegentlich mit physischer Gewalt für die Rückzahlungen sorgen. Hartmanns Bangladesch-Reise zeigt das Gegenteil einer Erfolgsgeschichte: Kreditnehmer kaufen Großkonzernen wie Danone Produkte ab, werden diese nicht los; um ihre Kredite zu bedienen, nehmen sie neue auf – ein Teufelskreislauf von Überschuldung und steigender Not. Allerdings hilft das Social Business den Konzernen, ihre Produkte auf unerschlossene Märkte zu bringen.

Nach den Selbstmorden überschuldeter Frauen in Indien mehrten sich jedoch die kritischen Stimmen. Ironischerweise sollten die Mikrokredite explizit dem Empowerment von Frauen dienen; bei der von Yunus gegründeten Grameen Bank erhalten Männer nur über ihre Ehefrauen Kredite. Rät man hierzulande Frauen händeringend davon ab, für ihre Partner zu bürgen, um nicht auf den Schulden sitzen zu bleiben, macht die bangladeschische mikrofinanzierte ‚Emanzipation‘ Frauen zu Schuldnerinnen auch noch im Dienste der Männer. Mittlerweile haben sich Mikrokredite als Armutsbekämpfung flächendeckend etabliert, auch die Nicht-Regierungsorganisationen agieren heute zumeist im Finanzgeschäft. Der Mikrokreditsektor stellt einen boomenden Wachstumsmarkt dar, in den es sich einzusteigen lohnt: Die Deutsche Bank wirbt laut Hartmann mit 9,5 % Rendite und das gute Gewissen für diese ‚ethische‘ Anlageform gibt es noch gratis dazu!

Neusprech der Armutsbekämpfung

Am Ende des Buches fühlt man sich an Georg Orwells „Neusprech“ aus „1984“ erinnert: Was als Armutsbekämpfung firmiert, scheint einzig der Profitmaximierung zu dienen. So gesehen stimmt der Buchtitel nur halb: Draußenbleiben müssen die Armen und Ärmsten nur insofern, als ihnen die Teilnahme an der Gesellschaft verunmöglicht wird. Diesem Ausschluss gegenüber steht die neoliberale Forderung: Ihr müsst unbedingt rein – und mitmachen in den Finanzlogiken dieser Welt! Hartmanns von Wut auf die globalen Missstände getragenes Buch macht deutlich, dass diese allerdings eher Teils des Problems als der Lösung sind. Zwar kommt einem zwischen Bangladesch und Suppenküche gelegentlich der rote Faden abhanden, fallen die Argumentionen manchmal etwas rasant aus – diese Generalabrechnung schärft aber den Blick schärft den paradoxen Zusammenhang von Ausschluss- und Einschlussmechanismen, der das Buch zu einer sehr empfehlenswerten Lektüre macht.

Kathrin Hartmann: Wir müssen leider draußen bleiben – Die neue Armut in der Konsumgesellschaft. München 2012. 18,95 Euro

One Comment on “Gelesen: Wie müssen leider draußen bleiben”

  1. 1 Mädchenmannschaft » Blog Archive » Engagieren, diskutieren und kritisieren – die Blogschau kommentierte 09:40 on April 14th, 2012:

    [...] Das Gespenst der Armut empfiehlt das Buch „Wir müssen leider draußen bleiben“. Ob Hartz IV oder Mikrokredite in Bangladesh, die Strategien gegen Armut seien am Ende auch nur weitere Profimaximierung. [...]


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