Gelesen: Klassen-Bilder II

Datum: 05.06.2011 | Autor: Elke | Kategorien: Rezensionen | Tags: Klassen-Bilder, Sozialfotografie, Stumberger | Keine Kommentare »

Rudolf Stumbergers “Klassen-Bilder II” setzt die Geschichte der sozialdokumen-tarischen Fotografie fort, die der Autor im ersten Band von 1900 – 1945 rekonstruiert hatte. Gegenstand dieses zweiten Bandes ist nun die Fotografie von 1945-2000, die der Autor im Sinne einer Visuellen Soziologie analysiert. Mit dem Begriff der Visuellen Soziologie will der Autor die Fixierung auf das Dokumen-tarische erweitern und damit die „Untersuchung des Sozialen“ um „jene Bilder erweitern, auf denen keine Menschen zu sehen sind und gar um Bilder, die gar nicht existieren“ (S. 12). So könne sich die Visuelle Soziologie auch mit der Armut beschäftigen, die häufig unsichtbar sei. Orientiert an Pierre Bourdieu und den frühen, gesellschaftskritischen cultural studies geht es mithin darum, das soziale Feld und die gesellschaftliche Bildproduktion in einen Kontext zu stellen. Dieses unsichtbare Beziehungsgeflecht bringt soziale Bilderwelten hervor, eben jene „Klassen-Bilder“.

Zäsuren des Sozialen
> Stumberger konstatiert eine große Zäsur: Die Jahrzehnte Jahre 1945 bis 1975 seien ein “Goldenes Zeitalter” (Eric Hobsbawm) sozialer Errungenschaften gewesen, in dem Vollbeschäftigung, Sozialpartnerschaft und Sozialstaatlichkeit mit einer quasi unauffällig integrierten Sozialfotografie korrespondieren, während in den 70ern der “Terror der Ökonomie” (Viviane Forrester) losbricht, der mit den Transformationen des sozialsaatlichten Arrangements, den galoppierenden Finanzmärkten  und -krisen, dem Untergang der alten Industriegesellschaft, mit neuer Arbeitslosigkeit  und Armut auch eine neue bzw. gar keine Fotopgrafie mehr hervorbringt: Die Arbeiterklasse wird unsichtbar. Zugleich ändert sich auch der Habitus der sozialdokumentarischen Fotografie: Sie muss auf einem Kunstmarkt konkurrieren, der anderen ästhetischen Gesetzmäßigkeiten folgt als dem des Engagements und der Sozialkritik. Hatte schon die Postmoderne, die auf Inszenierung statt Authentizität setzt, den sozialen Referenzbezug – also das ‘Authentische’ und ‘Dokumentarische’ – aufgekündigt, geht mit der “medialen Zeitwende” – der Wendung von der Analog zur -Digitalfotografie – auch die materiale Verankerung des Sozialen  verloren.

Bilderkämpfe

Mit einem Ausblick auf das 21. Jahrhundert schließt der Band: Die Gegenwart sei von „sozialen Kämpfen“ geprägt, die sich quasi in den großen Kampagnen der neoliberaler Institutionen wie der „Initiative Neue Soziale Markwirtschaft“ einerseits und denjenigen der Sozialverbände andererseits spiegeln. Dabei werden spezifische  Berufsgruppen etwa in den verdi-Kampagnen nicht durch die tatsächlich dort Arbeitenden dargestellt, sondern durch Models.

Konstruierte Klassen
Stumberger hat ein sehr interessantes, materialreiches Buch vorgelegt, das die Transformationen der sozialen Bilderwelten im fotografischen Bereich akribisch, anschaulich und engagiert rekonstruiert. Es fokussiert allerdings sehr stark die Arbeiterschicht, die für den Begriff der Klasse einstehen muss. Das bedeutet immer auch die Homogenisierung des möglicherweise Heterogenen und die Devisualisierung anderer Phänomene. Trotz dieser kritischen Anmerkung ist das sehr gut geschriebene Buch als Standardwerk zu bezeichnen, das einen ausgezeichneten Einblick in die Konstruktionsweisen von Klassen bietet.

Rudolf Stumberger:  Klassen-Bilder II.  Sozialdokumentarische Fotografie 1945-2000. Konstanz: UVK  2010.


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