Gelesen: Hegels Pöbel
Datum: 09.02.2012 | Autor: Elke | Kategorien: Rezensionen | Tags: Frank Ruda, Hegels Pöbel, Philosophie des Rechts | Keine Kommentare »Pöbelprobleme
Wie kommt der Pöbel in die Welt? Und welches Problem ist mit dem Erscheinen des Pöbels markiert? Dieser Frage geht Frank Ruda in seiner Dissertation „Hegels Pöbel. Eine Untersuchung der Grundlinien der Philosophie des Rechts“ nach. Im Zentrum steht die Frage nach dem Einbruch des Politischen in die Philosophie, den Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seiner 1820 abgefassten Studie zwar markieren, aber nicht lösen kann. Dieser Einbruch trägt den Namen Pöbel – eine spezifische Form der Armut, die Hegel derart entsetzt, dass er sich diesen kaum ausmalen mag und kann. Der Pöbel fungiert also als Schreckensbild, das zu erkunden auch deshalb notwendig wird, weil es den Zusammenbruch des „Ganzen als das Wahre“ indiziert. Der Pöbel, so Hegel, ist nicht einfach da, sondern er emergiert – und zwar an den Armen und den Reichen. Der reiche Pöbel entsteht durch Zufall, sei’s aus Erbschaften oder aus Gewinnen, die dieser aus dem Glücksspiel oder aus Finanzgeschäften ziehen kann. Sichtbar manifestiert sich der reiche Pöbel im Luxus; das mit ihm verbundene Problem ist, dass er meint, sich durch seine ökonomische Macht über das im Staat – und nirgends sonst verankerte Recht – erheben zu können.
Armutsprobleme
Anders sieht es beim armen Pöbel aus. Dieser ist nicht notwendig der Arme.Denn was die Armut von Pöbel unterscheidet, ist die Gesinnung. Erst der Arme, der sich gegen die Armut empört, wird zum Pöbel: „Dass diese Empörung aber als >rechtlose Gesinnung< erscheint, hängt nun nach Hegel damit zusammen, dass der Pöbel >die Ehre nicht hat, seine Subsistenz durch Arbeit zu finden, und doch seine Subsistenz zu finden als sein Recht anspricht<, denn im >Zustand der Gesellschaft gewinnt der Mangel sogleich die Form eines Unrechts<. Hier wird erstmals die dialektische und komplexe Struktur des Pöbelprobelms deutlich: Wahrhaft existiert in der bürgerlichen Gesellschaft nur, was durch Arbeit und Tätigkeit vermittelt sein kann, dennoch bringt ihre eigene Dynamik etwas hervor, das unmöglich durch Arbeit und Tätigkeit vermittelt sein kann; die Empörung, die über diesen strukturellen Mangel entstehen kann und Empörung über ihre eigene Widernatur ist, kann ihr selbst nur als widernatürlich erscheinen. In der anklagenden Empörung des Pöbels vernimmt die bügerliche Gesellschaft nichts als die widernatürliche Stimme, die selbst erzeugt, oder genauer: entbunden hat.“ (Ruda 66f.)
Hegel erkennt mithin, dass es die Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft ist, die Armut notwendig hervorbringt: „Was die Armut anbetrifft, so wird sie immer in der Gesellschaft sein, und je mehr, je größer der Reichtum gestiegen ist.“ Da der Pöbel aber die Entbindung aus dem über Arbeit geleisteten Vermittlungszusammenhang der Gesellschaft markiert, droht dieser die Gesellschaft selbst aufzulösen. Entsprechend schlussfolgert Hegel: “Die wichtige Frage, wie der Armut abzuhelfen sei, ist eine vorzüglich die modernen Gesellschaften bewegende und quälende.“ Ruda weist nach, dass die von Hegel diskutierten Lösungsprobleme – Erlaubnis der Bettelei, Eingriffe der Polizei, Bildung von Kooperationen etc. – sämtlich ungenügend sind und das Armutsproblem nicht lösen. Genau in diesem Unvermögen manifestiert sich der Einbruch des Politischen in die Sphäre der Philosophie. Ruda geht es nun darum, dass und wie Marx das Problem des Pöbels unter dem Begriff des Proletariats weiterdenkt.
Gattungsvisionen
Der Pöbel ist bei Hegel qua Ressentiment gegen die Gesellschaft das Böse, durch seine Nichtarbeit, die zur habituellen Faulheit degeneriert, das Verfaulende, im Wortsinne ein Un-Wesen. Genau dieser Stelle des Unbestimmten – des aus allen gesellschaftlichen Zusammenhängen entbundenen Pöbels – hingegen schreibt Ruda mit Marx eine universale Qualität zu. Vermittelt durch eine „wahrhaft kommunistische Aktion“ – durch die Praxis des „werktätigen Gattungslebens“ – wird die Wahrheit des Subjektes entfaltet: „Das Proletariat ist das Subjekt dieses Prozesses der universellen Produktion und was es produziert ist die Universalität, die Marx das Gattungswesen Mensch nennt.“ (Ruda 257) Diese schöne Vision zeitigt auch ein schönes Nebenresultat: In dem Moment, in dem arme Pöbel als Proletariat denkbar wird, zeigt sich, dass es nur einen wirklichen Pöbel gibt: „Es ist der Luxus-Pöbel“ (Ruda 251). Wenn auch die Entfaltung des Gattungswesen Mensch – das „Leben lebende Leben“ (Ruda 259) – noch in weiter Ferne zu sein scheint, so hat man doch wenigstens an diesem Punkt die Klarheit gewonnen.
Wem das zu schnell geht: Hier die Literaturangabe zum sehr lesenswerten – und trotz der wahrlich komplexen Materie auch sehr lesbaren – Buch von Frank Ruda
Ruda, Frank (2011): Hegels Pöbel. Eine Untersuchung der ,Grundlinien der Philosophie des Rechts’. Mit einem Vorwort von Slavoj Zizek. Konstanz.
Kommentieren Sie diesen Artikel...