Ghostwriter Sarrazin

Datum: 01.09.2010 | Autor: Elke | Kategorien: Texte | Tags: , | 1 Kommentar »

Der Mensch als IndustriepalastEinen sehr interessanten kulturhistorischen Link in der Sarrazin-Debatte setzt Thomas Steinfeld in der >>Süddeutschen Zeitung. Er bezieht Sarrazins Thesen auf das  “Erfolgsbuch” Sich selbst rationalisieren von Gustav Großmann. Dieses erschien 1927, wurde aber erst nach dem zweiten Weltkrieg  als  “eines der frühesten deutschen Lehrbücher zur Selbstoptimierung” populär. Grundlage dieses Denkens ist die Ökonomisierung des Menschen: “Verglichen mit den meisten späteren Werken der Management-Literatur, drückt sich Gustav Großmann bemerkenswert klar aus. Zum Beispiel in der Frage nach einer erfolgreichen Bewerbung: ‘Halten Sie sich vor Augen: Ihr Chef will eine Arbeitskraft, die sich bezahlt macht. Er will Nutzen aus Ihrer Arbeit. Davon müssen Sie ausgehen’, schreibt Gustav Großmann.”

Sarrazin setze dieses Denken fort, überträgt es aber auf den Staat: “Der Maßstab lautet also, ganz unhistorisch und weder soziologisierend noch psychologisierend: Nützlichkeit, Brauchbarkeit oder, wirtschaftlich gesprochen, Produktivität.”  Sarrazin will also Bürger, die für den Staat ökonomisch von Nutzen sind. Allerdings, so Steinfeld: “Es gibt keine Partei, die Linken und die Grünen eingeschlossen, der ein solchen Denken in den Kategorien von ‘human ressources’ fremd wäre.”

Tatsächlich ist Selbstoptimierung ja das Stichwort der Stunde. Die Arbeitssoziologie spricht seit einiger Zeit vom “unternehmerischen Selbst” als neuem Subjektivierungstypus: ein  Selbst, das sich ständig vermarktet und als Wirtschaftsressource begreift. Alle anderen werden überflüssig.  Sarrazin sieht diese Überflüssigen in den Muslimen, Bildungsunwilligen und Sozialschmarotzern:  “Der schon monströse Erfolg, den Thilo Sarrazin mit seinen Thesen erzielt, lässt darauf schließen, dass ihm – gegen die Politik, die ihn vor allem anstößig findet – sehr viele Menschen recht geben. Er sei, schrieb Frank Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der ‘Ghostwriter einer verängstigten Gesellschaft’.”

Wenn Sarrazin so viel Zustimmung erfährt, dann weil das unternehmerische Selbst  keinerlei  Distanz zu den Subjektanrufungen mehr kennt, denen es ausgesetzt ist.  Es geht vor lauter Angst, als ökonomisch unbrauchbar zu  gelten, völlig in seiner Selbstoptimierung – und ökonomisierung auf.  Man könnte auch sagen, dass es sich bei der Zustimmung zu Sarrazin um eine Identifikation mit dem Aggressor handelt.

Sarrazin ist allerdings nicht nur ein Ghostwriter, weil er das Skript einer verängstigten Gesellschaft liefert, sondern auch, weil er den  neuen Gesellschaftsentwurf durchoptimierter Subjekte mit  ‘alten’  rassentheoretischen Ideen  verknüpft.  Ghostwriter paßt hervorragend: Sarrazin verkörpert die gespentischen Züge, die das alles trägt.

One Comment on “Ghostwriter Sarrazin”

  1. 1 mel kommentierte 00:59 on September 2nd, 2010:

    hallo elke,
    habe deinen kommentar bei smilla gelesen und bin begeistert, dass es menschen gibt, die so denken :)


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