Gastbeitrag: Die Klappentexterin über “Barsakh”
Datum: 02.11.2011 | Autor: Elke | Kategorien: Die Klappentexterin, Gastbeiträge | Tags: Gastbeitrag Klappentexterin | 2 Kommentare »Simone Finkenwirth alias die > Klappentexterin bringt eine schöne Besprechung des Jugendbuches Barsakh von Simon Stranger.
Mit freundlicher Erlaubnis von Simone auch hier zu lesen.
Vielen Dank, liebe Simone!
Arme, reiche Welt.
Veröffentlicht am Oktober 31, 2011 von klappentexterin
Jeder kennt die erschreckenden Nachrichten über Flüchtlinge, die mit Booten aus Afrika nach Europa flüchten und nicht selten auf dem Seeweg zu Tode kommen. Die Kanaren, Lamedusa und Malta sind die Hauptziele der Flüchtlinge, da die Länder am dichtesten an Afrika liegen. „Allein im Jahr 2006 erreichten 32.000 Flüchtlinge die Kanaren und zwischen Juli 2008 und 2009 strandeten etwa 20.000 Menschen auf der italienischen Insel Lampedusa.“ Danach ist die Zahl erheblich geschrumpft, waren es im Jahr 2010 „nur noch knapp 200 Menschen“, die auf den Kanaren ankamen. Diese drastische Abnahme ist mit darauf zurückzuführen, „dass Europa den Seeweg zunehmend absichert und die betroffenen europäischen Staaten mit vielen Herkunftsländern Vereinbarungen geschlossen haben, die eine sofortige Abschiebung der Flüchtlinge erlauben (Rückführungsabkommen).“ Entnommen habe ich die Fakten aus dem Jugendbuch „Barsakh“, in dem sich Simon Stranger mit dem Thema auseinandergesetzt.
Der norwegische Autor führt in „Barsakh“ zwei Menschen zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die 15-jährige Emilie kommt aus Norwegen und verbringt mit ihrer Familie auf Gran Canaria die Ferien. Emilies Leben dreht sich einzig nur um sich selbst. Verbissen achtet sie auf ihre Figur, isst zu wenig, um nur kein Fett anzusetzen und geht viel Laufen. Anfangs stand die Gewichtabnahme im Mittelpunkt, doch bald empfand sie das Laufen als kleines Ventil, das ihr beim Abschalten half. Darauf kann sie auch im Urlaub nicht verzichten und so dreht Emilie regelmäßig ihre Laufrunden. Auf einer ihrer Joggingtouren entdeckt sie eines Tages ein „kleines zerbrechliches Holzboot“, das vor der Küste liegt, von wo aus ihr ein Junge zuwinkt. Geschockt bringt Emilie nur die Worte „Mein Gott“ heraus und erwidert den Gruß.
Der 18-jährige Junge heißt Samuel und kommt aus Ghana. Von dort ist er aus Hoffnungslosigkeit in die andere Welt aufgebrochen. Gesehen hat er sie u.a. in einem Café, in dem sich die Einheimischen Friends, Seinfeld und Ally McBeal im Fernsehen anguckten. „Serien mit hübschen jungen Menschen. Mit schicken Wohnungen und teuren Klamotten. Hier wurde der Samen für die Idee gesät. Der Idee, dass es eine andere Welt gab als die, in der er lebte. Eine Welt des Überflusses, direkt auf der anderen Seite des Meeres.“ In dieses schillernde Paradies will Samuel hin, um mehr Geld zu verdienen und seine Familie zu unterstützen. Andere haben es bereits vor ihm getan, jetzt ist es an der Zeit, ihnen zu folgen und auch scheint dies sein einziger Ausweg aus der Armut zu sein.
Simon Stranger hat in seiner Geschichte zwei Extreme zusammengeführt, die essensgestörte Emilie und den hungrigen Samuel. In klar getrennten Kapiteln gibt er beiden Protagonisten Raum, berichtet von einem Mädchen, das sich in ihrem Körper nicht wohl fühlt und Hunger leidet. Sie könnte, wenn sie wollte essen, aber sie tut es nicht. Samuel hingegen hat Hunger und kann nicht essen, weil er auf dem Meer nichts mehr hat, erlebt wie zahlreiche Mitreisende vor seinen Augen sterben. Das Wort Enthaltsamkeit bekommt in dem Buch zwei Gesichter, die in sich so perplex sind, dass sie an schon fast an Wahnsinn grenzen. Und es geschieht noch mehr: Plötzlich gerät Emilies Problem in den Hintergrund, als sie die afrikanischen Flüchtlinge retten will. Jetzt steht nicht mehr sie ganz oben, sondern viel mehr die Hilfe für die Gestrandeten. Aus einem Ich-allein wird ein Ich-für-die-anderen.
Der Jugendroman ist brisant, beklemmend und er klärt über ein Thema auf, das uns bekannt ist. Die eine arme Welt, die sich in die andere reiche Welt retten will. Authentisch zeichnet der Autor das Leid und die Verzweiflung der afrikanischen Menschen, rückt sie noch näher in den Fokus als es vielleicht distanzierte Nachrichten können. Schnell taucht dabei die Frage auf: Kann man so viel Gegenwart Jugendlichen zutrauen? Ja, man kann. Anhand von Emilie sieht man, wie sich der eigene Blick verschieben kann. Auch wenn sich das Mädchen nicht komplett ändert, wird sie mit einer Situation konfrontiert, die ihr Leben in einem anderen Licht erstrahlen lässt. Ohne sich darüber bewusst zu sein, nimmt sie sich selbst zurück und schaut über den eigenen Tellerrand hinaus. Zudem verdeutlicht das Buch, wie schwer die einzelnen Schicksale der Menschen wiegen, die wir aus den Nachrichten kennen. Es zeigt nur ein Beispiel von vielen und hinterlässt eine große Nachdenklichkeit, mit denen sich die jungen Leute aus der reichen Welt auseinandersetzen können und auch sollten.
Simon Stranger.
Barsakh.
September 2011, 144 Seiten, 8,95 €.
Altersempfehlung: 14 bis 15 Jahre.
bloomsbury taschenbuch.
Bild: Arm und Reich – Im Vergleich von Rebecca, Pia, Janina, Marina und Jana der Realschule Verden
Liebe Elke,
ich möchte mich herzlich bedanken, dass meine Buchbesprechung bei dir einen besonderen Platz gefunden hat. Das Bild passt übrigens sehr gut dazu. Merci!!
Liebe Grüße
Klappentexterin
Liebe Klappentexterin,
ich habe zu danken für Deinen großartigen Beitrag! Liebe Grüße Elke