Armutsbilder im Film: Die Grenze, Keine Angst, Luftbusiness
Datum: 01.04.2010 | Autor: Elke | Kategorien: Musik & Film, Texte | Tags: Aelrun Goette, Armut, Armutsbilder im Film, Die Grenze, Dominique de Rivaz, Keine Angst, Luftbusiness, Seele bei Ebay, Suso Richter, Unterschicht | 2 Kommentare »Arme sind irgendwie drollig, putzig, nicht die Hellsten, aber bauernschlau, haben verstrubbelte oder vergurkte Haartrachten, das Herz am rechten Fleck, nämlich – weil ja letztlich doch solidarisch und hilfsbereit – irgendwie links. Ganz dolle konnte man das Die Grenze von Roland Suso Richter bewundern. Neben der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme „Deutschland retten“ (so trefflich Dagmar Rosenfeld in der Zeit) heißt es feiern, lieben, streiten und treuherzig gucken. So weit, so Märchen, Schwank & Schelm. Auch im Kino und Fernsehen greift zumeist die Formel: kleine Verhältnisse – großes Herz. Wenn’s mal anders ist, wird gleich richtig böööse, böööse, böööse. So wie neulich in Keine Angst von Aelrun Goette. Gruppenvergewaltigungen, Papa wech, Missbrauch, Alkohol, Frauenbild schlimmer als Mutti in den 50ern. Noch was vergessen? Ach ja: die ewig glimmende Fluppe im Mund von Mama – das selbstzerstörerische Insignium der Unterschicht.
Geht’s auch anders?
Vielleicht wie in Luftbusiness von Dominique de Rivaz, der kürzlich auf Arte lief: Drei junge Männer, drei Freunde, Obachlose. Kein sozialrealistischer Kontext, sondern ein Universium der Behaustheit und Unbehaustheit, das ähnlich zeichenhaft erscheint wie Tarkowskis Stalker. Luftbusiness greift einen realen Fall auf – den Verkauf einer Seele bei Ebay – und läßt aus dem Spiel Ernst werden. SeelLiocha, der junge illegale Russe versteigert seine Kindheit, Moritz seine Zukunft und Filou versteigert seine Seele.
Money Logistics
Welche Nachrichten können diese Boten über den Zustand der Welt übermitteln? Der Blick ist der in eine ökonomisierte Welt, in der scheinbar Unverfügbares – Erinnerungen, Zukunft und Seele – verfügbar, kapitalisierbar wird. Und so ist es auch ein Film über die vollständige Ökonomisierung des Menschen – die Bezahlung erfolgt über Money Logistics. Schon vor ihrem finalen Schritt, der das Immaterielle verwertet, haben zwei der drei Protagonisten notgedrungen ihren Körper kapitalisiert: Liocha holt sich sein Geld nicht von der Bank, sondern von der Samenbank, der er sein Sperma verkauft, Moritz schluckt testweise viel zu viele Medikamente. Nur Filou hat noch keine physischen Ressourcen verkauft, er führt Hunde aus.
Die Figuren bewegen sich in einer zweigeteilten Welt aus arm und reich, deren Zentrum das Leichenhaus bildet: „In der imaginären Topographie von Hamlin trennt ein Fluss als symbolischer Styx – der Fluss der Hölle -- die Stadt vom Depot (dem Leichenhaus der Obdachlosen, derjenigen, nach denen niemand fragt). Die Stadt ist zweigeteilt: die ärmliche Stadt, die des Internetcafés, und die reiche Stadt, die City. Dort lagern die Ausgeschlossenen zwischen zusammen gesammeltem Zeugs oder in Zelten, so, wie man es aus Paris kennt.“ Auf der armen Seite lebend, bewegen sie sich in einer Welt der Gespenster: „«Noch-nicht-tot» heisst Bruno, der in einem Karton haust, mit seinem Übernamen, und «noch nicht» oder «noch nicht tot» rufen die Obdachlosen, wenn die Leute von Körlin, dem Lagerhauswärter, durch die Nacht gehen, um die Verhungerten und Erfrorenen in Körlins Leichenhaus zu holen.“
Orpheus als Gespenst
Der horizontalen Achse in der Landschaft des Sozialen entspricht eine vertikale. Sie verläuft zwischen dem Leichenkeller der Obdachlosen und dem Gewächshauses, das den drei Freunden provisorisch Obdach gibt: „Das Gewächshaus, dieser zentrale Ort, an dem das Sichtbare und das Unsichtbare aufeinander treffen, wurde als Zwischending zwischen einem ungepflegten Aquarium und einer gläsernen Kathedrale konzipiert. Schmutzig nach unten, aber nach oben hin immer reinlicher werdend. Man weiß nicht, was es einmal war, so merkwürdig inmitten eines industriellen Brachlands stehend. Das Gewächshaus ist ein ungebührlicher Palast, ein Kindheitsort, ein magischer Ort, vergraben in unseren Erinnerungen.“ (Presseheft). Diesen ungebührlichen Palast der Armut werden alle drei verlassen müssen. Wenn sie Engel waren, so wird sie ihr Weg nicht nach oben führen. Denn am Schluss sind sie wirklich arm, da von allen guten Geistern verlassen. Nun erst werden sie zu Gespenstern der Armut, Untote, die ihr Leben nicht mehr bewohnen können und doch nicht sterben können. Die Logik von Money Logistics erfasst alles und wer, wie der moderne Orpheus hofft, doch noch eine, nämlich seine Seele zu retten, muss Luftgitarre vor den Toten spielen: „Die Toten in Körlins Leichenhaus sind es, die schliesslich Filous Melodien hören. Ob er zu ihnen gehört, bleibt offen. Seine Seele bleibt jedenfalls unbezahlt. Zu seinen Freunden hingegen kommt der Geldengel Lila im gelben Auto von Money Logistics.“
kleine Korrektur: auch filou geht blut spenden, wie die beiden anderen. verkauft also auch seinen körper.
liebe nummer0, danke für die kleine, aber wichtige korrektur: da habe ich wohl ungenau hingesehen bzw. aus dem gedächtnis falsch erinnert! herzlich: elke