Hartz IV-Politik, Hartz IV-Leben

Datum: 30.09.2010 | Autor: Elke | Kategorien: Texte | Keine Kommentare »

Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, hat ein Buch über Hartz IV bzw. Armut geschrieben und in Berlin vorgestellt. Zur Präsentation kam auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Die >>Süddeutsche Zeitung beschreibt den Abend.

Naturgemäß geht es um große Politik:  “Schneider fordert einen Regelsatz von 450 Euro. 90 Euro mehr, als derzeit bezahlt werden. […] ‚Wer soll das bezahlen?’, fragt Lindner, und glaubt den wunden Punkt in Schneiders Argumentation getroffen zu haben. Dazu nämlich, “das sage ich mit Augenzwinkern”, habe Schneider sich lediglich in einen zweiseitigen Exkurs ausgelassen. Von 230 Seiten. Es geht darin vor allem darum, den Reichen über höhere Steuern mehr Geld abzunehmen.   Schneider gibt später trocken zurück, dass auch diese zwei Seiten nur auf Druck seines Lektors zustande gekommen seien. Und es seien deswegen nur zwei Seiten, ‚weil die Sache eigentlich so klar ist’.  Lindner schaut ihn an, als käme der Koteletten-Mann vom Mond.“

Wie ein “Hartz IV-Kind” (so die Selbstbeschreibung) Einschränkungen und materiellen Mangel erlebt, erzählt die 14-jährige Pauline >> . Die Zeitschrift begleitet diese Jugendliche seit einigen Jahren. Hier geht es also um das konkrete Leben:  “Aber wenn ich manchmal höre, dass die Kinder sagen, sie brauchen einen i-Pod oder einen Laptop, dann sage ich, das ist zwar schön, aber es muss nicht sein. Ich hatte zum Beispiel einen Laptop, den habe ich geschenkt bekommen, und seit der kaputt ist, lese ich wieder viel mehr. Ich lese gerade “Die Welle”, das ist sehr geil, weil man da auch viel lernen kann. Da geht es ja um Gruppenzwang, und das kann man auch in der Wirklichkeit sehen, hier gibt es auch viel Gruppenzwang.”


5 Euro

Datum: 26.09.2010 | Autor: Elke | Kategorien: Texte | Keine Kommentare »

2, 5 Flaschen mehr

7 Töpfchen mehr

1, 6 Pakete mehr

(Preise Aldi Süd)


Hartzler: Schluss mit Lustig!

Datum: 25.09.2010 | Autor: Elke | Kategorien: Texte | Tags: , , | 2 Kommentare »

Der CDU-Politiker Philipp Mißfelder hatte es schon früh gewusst: „Die Erhöhung von ‚Hartz IV’ war ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie.“ Die Worte des Vorsitzenden der Jungen Union im Februar 2009 müssen nachgewirkt haben, denn bei den neuen Berechnungen für Hartz IV werden Tabak- und Alkoholkosten (bislang knapp 20 Euro im Monat) nicht mehr berechnet (>>Morgenpost).

Damit dürfte der Koalition ein guter Coup gelungen sein. Man hört förmlich die Kommentare: Richtig so, was müssen die denn auch rauchen und saufen!! Ähnlich wie in der Frage der Wohnraumgröße steckt hinter diesen kühlen ökonomischen Berechnungen, die zu einer Erhöhung der bisherigen Sätze um „deutlich unter 20 Euro“ führen, auch hier eine ebenso wohlkalkulierte Symbolpolitik. Zunächst bastelt sie erst einmal das Bild, das schon seit der Frühen Neuzeit die Klasse der „gefährlichen Armen“ ausmacht: Diese geben hemmungslos ihr Geld für Schnaps und Tabak aus. Ihnen das Geld dafür zu kürzen, verdichtet in einem Akt die Pädagogisierung der selbst konstruierten Unterschicht und die Missgunst  derjenigen, die als rechtschaffene Bürger anderen alles neidet. Chapeau!

Dagegen soll hier ein Gedicht aus dem Jahre 1936 gesetzt werden. In seinen zweiten Gedichtband Mit der Ziehharmonika lässt der österreichische Dichter >> Theodor Kramer (1897-1958) einen böhmischen Knecht sprechen, der seine Armut lange klaglos ertrug, da ihm der kleine Rauch und Rausch die Menschenwürde garantierte:

Der böhmische Knecht

Mit der Rotte hab ich Korn geschnitten
und mich so von Gut zu Gut getrieben;
Sense hat mich in den Fuß geschnitten
und – geheilt – bin ich im Land geblieben.

Vielen Bauern hab ich Roß und Kühe
abgewirtet und das Holz gebunden;
und ich hab mich nur für meine Mühe
neu gewandet jedes Jahr gefunden.

Immer hat im Wirtshaus sich beim Zechen
wer gemuckt, der mir mein Bier nicht gönnte
und ein andrer hat mir vorgerechnet,
was ich am Tabak ersparen könnte.

Doch der Rausch ist mir mein Recht gewesen
und der Pfeifenrauch die eigne Hütte;
sehr entbehr ich beides, seit ich Besen
binden muß und schon den Napf verschütte.

Meine Lungen sind belegt und heiser,
niemand wird mich also freundlich pflegen
wie sie hierzuland die Paradeiser
zwischen Doppelfenstern reifen legen.

Drum im Sonntagsstaat bei voller Flasche
laß ich wiederum die Pfeife qualmen,
weiß die Rebschnur in der Außentasche
und ein Holzkreuz vor den Schachtelhalmen.[1]


[1] Kramer, Theodor, Gesammelte Gedichte, 3 Bde, hg. v. Erwin Chvojka, Wien, München, Zürich, 1984 ff., Bd. 1, S. 163.


Foto:  John  Vachon: Worker at carbon black plant, Sunray, Texas, 1942


Nasenringe aus Phosphor, in der Luft ein Hauch von Benzin (Shell-Jugendstudie 2010)

Datum: 15.09.2010 | Autor: Ansgar Warner | Kategorien: Texte | Tags: , , | Keine Kommentare »

shell jugendstudie 2010Es gibt vererbte Armut, genauso wie vererbten Reichtum. Natürlich ist die Erbmasse kulturell bestimmt, nicht genetisch. Doch für die Startchancen von Jugendlichen bedeutet das auf jeden Fall nichts gutes. Wie die aktuelle Shell-Jugendstudie zeigt, haben die Teenager der Generation Merkel die soziale Schere sogar schon im Kopf. Wenn das soziale Umfeld stimmt, ist auch die Chance recht hoch, dass die Mädchen und Jungen optimistisch in die Zukunft blicken. In bildungsfernen Schichten oder Migrationsfamilien dagegen wird eher ein düsteres Bild der Zukunft gezeichnet.
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Aktionstage gegen Armut

Datum: 13.09.2010 | Autor: Ansgar Warner | Kategorien: Trailer, Teaser & Geschmacksverstärker | Tags: , , | Keine Kommentare »

NO EXCUSE:  Zweck dieser UN-Kampagne ist es, “die Ziele der Millenniumerklärung in den Fokus der Medien und Menschen zu rücken – und dauerhaft dort zu halten. Denn nur dann können sie erreicht werden. Die Politikerinnen und Politiker haben ein großes Versprechen abgegeben.”

Nämlich dasjenige,  die Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Davon ist man allerdings weit entfernt. Im Gegenteil. Die Armut steigt weltweit an. Bekanntlich wurde 2009 die Milliarden-Grenze überschritten:  So viele Menschen hungern weltweit (vgl.  >>FAO)

Damit die schönen Ziele nicht  vergessen werden,  “muss die Bevölkerung sie daran erinnern. Gleichzeitig benötigen die Regierungen der Unterzeichnerstaaten aber die Hilfe der Bürgerinnen und Bürger. Ohne ihre aktive Mitwirkung wird globale soziale Gerechtigkeit ein Lippenbekenntnis bleiben.”

Eine Möglichkeit bietet das kollektive Stand-Up .  Dazu finden bundesweite Aktionstage statt. Informationen, wo und wann solche Treffen stattfinden und wie man sich organisieren kann, finden  sich auf >UN-Kampagne


„Mit Dir sind wir viele“: Mediakampagne mobilisiert für Weltarmutsgipfel

Datum: 01.09.2010 | Autor: Elke | Kategorien: Trailer, Teaser & Geschmacksverstärker | Tags: , | Keine Kommentare »

“Kurz vor dem Weltarmutsgipfel in New York und anlässlich der zwei-Drittel-Bilanz der Millenniumsziele (MDGs) starten der  Schauspieler Benno Fürmann und der Violinist David Garret gemeinsam mit der UN-Kampagne die Mediakampagne Mit Dir sind wir viele.” Um die Millenniumsziele – Halbierung der Armut um die Hälfte bis zum Jahr 2015 – wirklich zu erreichen,  müssen Politiker zu Taten bewegt werden.

Trotz der etwas Uncle-Sam-Wants-You-haften Anmutung der Anzeigen, die man momentan in vielen Zeitungen findet,  ist diese Kampagne eine sehr sinnvolle Sache. Was kann der/die Einzelne tun? Darüber informiert die  >UN-Kampagne:  beispielsweise seinem Abgeordneten schreiben oder an einem STAND-UP teilnehmen.


Ghostwriter Sarrazin

Datum: 01.09.2010 | Autor: Elke | Kategorien: Texte | Tags: , | 1 Kommentar »

Der Mensch als IndustriepalastEinen sehr interessanten kulturhistorischen Link in der Sarrazin-Debatte setzt Thomas Steinfeld in der >>Süddeutschen Zeitung. Er bezieht Sarrazins Thesen auf das  “Erfolgsbuch” Sich selbst rationalisieren von Gustav Großmann. Dieses erschien 1927, wurde aber erst nach dem zweiten Weltkrieg  als  “eines der frühesten deutschen Lehrbücher zur Selbstoptimierung” populär. Grundlage dieses Denkens ist die Ökonomisierung des Menschen: “Verglichen mit den meisten späteren Werken der Management-Literatur, drückt sich Gustav Großmann bemerkenswert klar aus. Zum Beispiel in der Frage nach einer erfolgreichen Bewerbung: ‘Halten Sie sich vor Augen: Ihr Chef will eine Arbeitskraft, die sich bezahlt macht. Er will Nutzen aus Ihrer Arbeit. Davon müssen Sie ausgehen’, schreibt Gustav Großmann.”

Sarrazin setze dieses Denken fort, überträgt es aber auf den Staat: “Der Maßstab lautet also, ganz unhistorisch und weder soziologisierend noch psychologisierend: Nützlichkeit, Brauchbarkeit oder, wirtschaftlich gesprochen, Produktivität.”  Sarrazin will also Bürger, die für den Staat ökonomisch von Nutzen sind. Allerdings, so Steinfeld: “Es gibt keine Partei, die Linken und die Grünen eingeschlossen, der ein solchen Denken in den Kategorien von ‘human ressources’ fremd wäre.”

Tatsächlich ist Selbstoptimierung ja das Stichwort der Stunde. Die Arbeitssoziologie spricht seit einiger Zeit vom “unternehmerischen Selbst” als neuem Subjektivierungstypus: ein  Selbst, das sich ständig vermarktet und als Wirtschaftsressource begreift. Alle anderen werden überflüssig.  Sarrazin sieht diese Überflüssigen in den Muslimen, Bildungsunwilligen und Sozialschmarotzern:  “Der schon monströse Erfolg, den Thilo Sarrazin mit seinen Thesen erzielt, lässt darauf schließen, dass ihm – gegen die Politik, die ihn vor allem anstößig findet – sehr viele Menschen recht geben. Er sei, schrieb Frank Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der ‘Ghostwriter einer verängstigten Gesellschaft’.”

Wenn Sarrazin so viel Zustimmung erfährt, dann weil das unternehmerische Selbst  keinerlei  Distanz zu den Subjektanrufungen mehr kennt, denen es ausgesetzt ist.  Es geht vor lauter Angst, als ökonomisch unbrauchbar zu  gelten, völlig in seiner Selbstoptimierung – und ökonomisierung auf.  Man könnte auch sagen, dass es sich bei der Zustimmung zu Sarrazin um eine Identifikation mit dem Aggressor handelt.

Sarrazin ist allerdings nicht nur ein Ghostwriter, weil er das Skript einer verängstigten Gesellschaft liefert, sondern auch, weil er den  neuen Gesellschaftsentwurf durchoptimierter Subjekte mit  ‘alten’  rassentheoretischen Ideen  verknüpft.  Ghostwriter paßt hervorragend: Sarrazin verkörpert die gespentischen Züge, die das alles trägt.